Die
Neue Rechte –
Recycling
braunen Phrasen-Mülls
von
Wilfried John 5.Oktober2015
Täglich sehen wir die
Zahl der Wörter weiter ansteigen, die ihr Gegenteil bedeuten.
Nicolás Gómez Dávila (kolumbianischer Philosoph 1913 – 1994)
Entweder
liegt es nur an meiner persönlichen Wahrnehmung oder an der
tatsächlich vermehrten Verwendung des Begriffs: Ich lese neuerdings
häufig von der sog. „Neuen Rechten“ (ab und an habe ich den
Begriff sogar selbst verwendet). Aber was ist das denn? Was ist das
Neue an den Rechten? Wer ist denn da gemeint? Welche Ideologie und
Ziele verfolgt sie? Mit welchen Methoden operiert sie? Ich meine, die
Antworten auf diese Fragen (und deren vernünftige Einordnung)
verdeutlichen, dass mit der Bezeichnung „Neu“ lediglich
Etikettenschwindel getrieben wird und sich dahinter lediglich der
„althergebrachte“ Rechtsextremismus versteckt.
Was
ist das denn?
Der
Begriff "Neue Rechte" steht nicht – wie man vielleicht
glauben könnte – für einen neuen Entwicklungsabschnitt des
Rechtsextremismus, sondern höchstens für einen gewissen
(scheinbaren) ideologisch-programmatischen Wandel. Dass nun
neuerdings so häufig von der „Neuen Rechten“ gesprochen wird,
ist nicht neu in der BRD. Die „Neue Rechte“ ist eine in den
1960er Jahren entstandene geistig-politische Strömung, die sich als
"Gegenmodell" zur Studentenbewegung von 1968, der Neuen
Linken, verstand.
Die
„Neue Rechte“ grenzt sich von den rückwärtsgewandten
theoriefeindlichen Vertretern der "Alten Rechten" ab und
greift stattdessen auf autoritäre und elitäre Denkschulen der
"Konservativen Revolution" in der Weimarer Republik (Carl
Schmitt, Ernst Jünger, Oswald Spengler, und andere) zurück.
Entscheidend ist, dass es dabei nicht um "alt" oder "neu",
sondern um eine inhaltliche Auseinandersetzung zwischen sog.
Traditionalisten und sog. Modernisierern bezüglich des generellen
Selbstverständnisses, des Erscheinungsbildes, der Ziele und Methoden
des Rechtsextremismus geht. Mehr nicht. *1
Was
ist neu an der Neuen Rechten?
Wenn
von der „Neuen Rechten“ die Rede ist, hat man sich darunter nicht
etwa eine homogene, organisierte Gruppe vorzustellen. Vielmehr ist
„Neue Rechte“ der Versuch, einen Sammelbegriff zu finden, unter
dem vielfältige Aktivitäten subsummiert werden, mit welchen rechte
Ideologen versuchen, für ihre Positionen Akzeptanz in der Breite der
Gesellschaft zu finden und die öffentliche (und veröffentlichte)
Meinung langfristig nachhaltig so zu beeinflussen, dass die
Gesellschaft nach rechts rückt.
Wer
ist denn da gemeint?
Im
Gegensatz zu dem was man sich allgemein unter Rechtsextremen
vorstellt, treten Protagonisten der „Neue Rechte“ mit einem
gewissen intellektuellen Feinschliff auf. Es sind nicht mehr (nur)
die tumben Schläger, sondern geschulte Journalisten, Publizisten,
Politikwissenschaftler, Internetauftritte, Zeitungen und Verlage, die
sich z.B. in
rechtspopulistischen,
islam-
und ausländerfeindlichen
Kontexten betätigen und sich z.B. an der Verbreitung von
destabilisierend wirksam werden sollenden Verschwörungstheorien
beteiligen (z.B. Chemtrails).*2
Welche
Ideologie und Ziele verfolgt sie?
Nun,
je nach Fasson kann man die „Neuen Rechten“ unterschiedlich
charakterisieren: Sowohl das alttestamentarische „Es
gibt nichts Neues unter der Sonne“, als auch (mir sympathischer)
das neutestamentarische „Alter Wein in neuen Schläuchen“ trifft
es sehr gut. Was man uns da, in verharmlosenden, verschleiernden und
teils akzeptablen Begriffen, neu verpackt, ganz geschickt
„untergejubelt“ hat oder beibiegen möchte, ist in Wahrheit ein
Horrorkabinett aus dunkelster Zeit und man muss sich hüten, diese
Begriffe (ohne gründliche Auseinandersetzung über ihre Bedeutung)
zu verwenden. *3
Wesentliche ideologische Elemente der
„Neuen Rechten“ sind:
Ablehnung
des Individualismus, Universalismus, Liberalismus, Parlamentarismus
und innergesellschaftlichen Pluralismus,
zugunsten der sog. Volksgemeinschaft, ganz im Sinne der
Nazi-Ideologie. Die
Volksgemeinschaft ist zu einem wesentlichen Bestandteil des Denkens
heutiger Rechtsextremisten geworden. Sie wird als ein streng
hierarchisch gegliedertes Gemeinwesen verstanden, in dem der Staat
und ein ethnisch homogenes Volk zu einer Einheit verschmelzen und in
dem alle Klassen- und Standesschranken aufgehoben sind. Die
staatliche Führung handelt intuitiv nach dem einheitlichen Willen
des Volkes, der Einzelne ordnet seine Interessen völlig dem Wohl der
Volksgemeinschaft unter.
Nationale
Identität und nationales Selbstwertgefühl.
Im rechtsextremistischen Sinne
definiert sich Nation nur durch die Abstammung der Menschen, die
somit eine ethnisch homogene Gemeinschaft bilden. Volk und Nation
werden gleichgesetzt und mythisch überhöht, jegliche heterogenen
Einflüsse sollen vermieden oder beseitigt werden (völkischer
Nationalismus). Als Ziel steht Rechtsextremisten häufig eine streng
hierarchisch strukturierte "Volksgemeinschaft" vor Augen.
In
diesem Zusammenhang ist oft von „national befreiten Zonen“ die
Rede. Derartige Zonen können
Jugendzentren, Stadtviertel oder ganze Städte sein. Gemeinsam ist
allen "befreiten Zonen", dass dort Rechtsextremisten das
Sagen haben sollen und Andersdenkende und Ausländer/innen
ausgegrenzt bzw. nicht geduldet werden. Die staatliche Macht soll
nach den Vorstellungen der Rechtsextremisten schrittweise verdrängt
werden.
Der
Begriff ruft Assoziationen wie "ethnische Säuberung"
hervor oder erinnert an die nationalsozialistische Parole
"Deutschland sei judenfrei geworden". Auch die Feinde, die
aus den befreiten Zonen vertrieben oder ausgegrenzt werden sollen,
sind nicht klar definiert. Objekte der Ausgrenzung können "Linke"
("Punker", "Autonome") sein oder Ausländer, aber
auch Behinderte, Obdachlose, Homosexuelle, engagierte Demokraten.
Neubewertung
der deutschen Geschichte, Frontstellung gegen das kritische Erinnern
an den Nationalsozialismus. Dahinter
versteckt sich der pure Revisionismus.
Der Revisionismus hat
verschiedene Erscheinungsformen. Besondere Bedeutung haben:
Die
Holocaust-Leugnung
Hiermit
bezeichnet man den Versuch, den Völkermord im Dritten Reich zu
leugnen bzw. zu relativieren.
Die
Kriegsschuldfrage
Hierunter
fasst man Versuche, die Schuld Deutschlands am Ausbruch des zweiten
Weltkriegs zu leugnen. Oftmals wird die Kriegsschuld sogar voll und
ganz den Alliierten zugeschrieben. Gleichzeitig werden häufig die
von der Wehrmacht begangenen Kriegsverbrechen geleugnet bzw.
verharmlost.
Der
Gebietsrevisionismus oder geographischer Revisionismus
In
der revisionistischen Agitation besteht das Deutsche Reich in den
Grenzen von 1937 fort. Wichtigster Aspekt des Gebietsrevisionismus
ist die Infragestellung der deutschen Ostgrenze (Oder-Neiße-Linie)
bzw. die Forderung auf Herausgabe der Ostgebiete. Es existieren
jedoch auch weiterreichende Vorstellungen, zum Beispiel ein Deutsches
Reich in den Grenzen von 1914 - zum Teil unter Einschluss
Österreichs, Südtirols, des Sudetenlandes usw. - herzustellen.
Sozialdarwinismus,
Biohumanismus.
Sozialdarwinismus
ist die aus Darwins Evolutionstheorie entstandene Idee, diesen
Evolutionsprozess zu "beschleunigen", indem man alles, was
man für "schwach" erachtet z.B. eliminiert oder diesen
Individuen die Fortpflanzung verweigert, damit nur "gute"
Gene weitergegeben werden. So sollte beispielsweise eine "reine
Herrenrasse" entstehen. Aber der Sozialdarwinismus folgt
keineswegs aus dem Darwinismus, sondern ist sozusagen eine
faschistische Interpretation, die den Nazis gut gefallen hat/gefällt.
Der Begriff Biohumanismus nun, ist ganz klar faschistischer Natur, in
dem er die Humanität auf eine Gruppe bezieht und sie für andere
ablehnt.
Ethnopluralismus.
Ethnopluralismus.
Hinter dem Konzept des Ethnopluralismus ein ausgrenzender
Nationalismus zu verstehen, der in der Regel mit fremdenfeindlichem
Denken verbunden ist.
Im Gegensatz zur Vorstellung, der gleichen Würde und Rechte aller Menschen, betont der Ethnopluralismus die kulturellen, regionalen und/oder genetischen Unterschiede zwischen Ethnien/Völkern. Ethnopluralismus lehnt die Integration von Menschen verschiedener Herkunft und Kultur ab, da die Völker und Nationen dadurch angeblich ihre kulturellen Eigenarten, ihre Identität und letztlich ihre Qualität verlören. Auf diese Weise dient der Ethnopluralismus im rechtsextremistischen Verständnis dem Erhalt der sog. "nationalen Identität".
Den
fremdenfeindlichen Kern des Ethnopluralismus verstecken seine
Anhänger hinter der Forderung, Ethnien zu trennen. So findet sich in
der Einleitung einer an Schüler gerichteten CD aus dem
rechtsextremistischen Spektrum die Formel: "Wir sind keine
Ausländerfeinde, wir lieben das Fremde - in der Fremde". Häufig
berufen sich Vertreter des Ethnopluralismus auf einzelne
Verhaltensforscher. Indem sie Beobachtungen aus dem Tierreich auf das
menschliche Zusammenleben übertragen, behaupten sie, dass es dem
natürlichen - nicht veränderbaren - Verhalten entspreche, wenn man
Fremde und Migranten ablehnt. Letztlich führt das direkt zur
Apartheid.
Anthropologische
Ungleichheit ("Differenzierungslehre")
Hier haben wir es mit einem Dreh- und Angelpunkt rechter Ideologie zu
tun: Die Behauptung von der Ungleichheit der Menschen, seien es
Ethnien, Geschlechter oder Klassen. Diese sog „natürliche
Ungleichheit“ – in der Rechten als „Differenz“ bezeichnet –
impliziert ein „natürliches“ Oben und Unten;
scheinwissenschaftlich als „anthropologischen Konstante“
verklärt. Wer das als Unten nicht verstehen kann oder will,
riskiert, dass er vom Oben mit „natürlicher“ Aggressivität und
Gewalt, die im menschlichen Miteinander als „naturgegeben“
hinstellt wird, überzeugt wird.
Soziale Frage.
Was allgemein für linke Position gehalten wird, nämliche die Lösung
der sozialen Probleme, wurde mittlerweile erfolgreich mit dem Begriff
der ethnisch homogenen Volksgemeinschaft verknüpft. Es ist den
Ideologen der „Neuen Rechten“ gelungen, in das
völkisch-nationalistische Konzept eine kapitalismuskritische
Dimension zu integrieren. Seither wettert die z.B. die NPD gegen den
"vaterlandslosen Raubkapitalismus", gegen den "entarteten
Monopolkapitalismus", gegen den "menschenverachtenden und
völkervernichtenden Liberalkapitalismus", der Nationalstaaten
und -kulturen zerstöre, um die "Weltdiktatur des großen
Geldes" zu errichten.
Wenn
die NPD und andere extrem Rechte mehr soziale Gerechtigkeit
fordern oder gar vom Sozialismus schwadronieren, hat das mit
sozialer Gerechtigkeit und mit der Vorstellung vom Sozialismus
als einem gerechteren Gesellschaftsmodell nichts zu tun. Übrigens
auch nicht mit dem eigenen Programm. Dort bekennt sich die Partei zu
einem „freien und sozial verpflichteten Unternehmertum“.
Neonazis vertreten einen deutschen, mittelständischen
Kapitalismus. Kritik am Kapitalismus zielt bei ihnen nicht auf
eine andere, gerechtere Wirtschaftsordnung, sondern wendet sich
ausschließlich gegen ausländische und internationale Konzerne,
aber nicht gegen die Ausbeuter im eigenen Land.
Natürlich
schürt die „Neue Rechte“ Sozialneid und initiiert Spaltungen
sozialer Gruppen, wenn sie z.B. behauptet "Multikulti bedeutet
Sozialabbau" oder das politische Ziel "Arbeit statt
Profite" setzen. Klar, dass sich die Ideologen an allgemeinen
gesellschaftlich anerkannten und befürworteten Modellen orientieren,
weswegen sie scheinbar für die "Erhaltung des Sozialstaats"
sind und sich "gegen Sozialabbau" und für "soziale
Gerechtigkeit einsetzen. Gemeint ist allerdings ein Sozialstaat
für die „Volksgemeinschaft“.
Ginge
es nach den extremen Rechten, gäbe es Sozialleistungen nur noch
für einen eingeschränkten Personenkreis. Nach diesem Prinzip gingen
schon die Nationalsozialisten vor. Deutsche Staatsbürger, die
zu Juden erklärt wurden, politische Gegnerinnen und Gegner der
Nazis, galten als »Volksfremde«. Nicht zur »Volksgemeinschaft«
gehörten auch viele, die besonders auf einen echten Sozialstaat
angewiesen waren, wie etwa Behinderte. Wie wenig den Neonazis
das Wohl von Menschen am Herzen liegt, die am unteren Ende der
Gesellschaft leben müssen, zeigt ein Blick auf rechte
Gewalttaten. Zu den Opfern zählen häufig Migrantinnen und
Migranten, Obdachlose und Behinderte.
Mit
welchen Methoden operiert sie?
Derzeit
ist das Hauptverbreitungsmittel für die Propaganda der „Neuen
Rechten“ der Rechtspopulismus; z.B. die "volkstümlich und
rebellisch-autoritär inszenierte Verkündung extrem rechter Theoreme
auf der Basis emotionalisierter Argumentation", wie sie bei
Pegida anzutreffen ist. Natürlich sollte man Pegida nicht
überbewerten, aber sie ist ein Indikator für eine gestörte
Beziehung zwischen Wählern und Gewählten oder, im populistischen
Sprachgebrauch, zwischen „Volk und Eliten“, ganz wie es das
neoliberale Konzept „Weniger Staat, mehr Privat“ – das uns seit
fast 40 Jahren gepredigt wird – beabsichtigte.
Gerade
ihre Betonung der eigenen Durchschnittlichkeit – die in „Wir sind
das Volk“ zum Ausdruck kommt – untermauert diesen Befund. Man
inszeniert sich daraufhin erfolgreich als Anti-Establishment und
grenzt sich noch stärker von den sog. etablierten Parteien,
staatlichen Institutionen, öffentlich-rechtlicher Medien etc. ab;
denunziert diese letztlich als Schuldige. Was dazu führt, dass die
Populisten erfolgreich die Menschen von den demokratisch
legitimierten Institutionen abspalteten.
Dies
geht einher mit der Betonung der Interessen des eigenen nationalen
Kollektivs, der Abgrenzung gegenüber Minderheiten, der Ablehnung von
Zuwanderung sowie Law-and-Order-Forderungen bei gleichzeitiger Kritik
eines überbordenden Sozialstaats. Mit ihrer demagogischen
Politikferne und einer pauschalen Medienschelte, die meist in
einfachen Law-and-order-Parolen mündeten, steht Pegida für die
Ausbreitung des Rechtspopulismus.
Für dessen Etablierung auf
parlamentarischer Ebene, die in Deutschland verglichen mit anderen
europäischen Ländern bislang nur schleppend vorankam, könnte
Pegida daher ein wichtiger Schritt sein. Der Kampf gegen den
Islamismus diente dabei nur als Alibi, einen tatsächlichen Beitrag
zu diesem hat Pegida nicht geleistet
Wachsam
bleiben
Was
von wohlmeinenden Demokraten oft falsch verstanden wird: Es für
Demokraten keine Pflicht, mit jenen zu debattieren, die Demokraten zu
ihren Feinden erklärt haben; zumal diese Leute gar nicht ernsthaft
mit mir diskutieren möchten. Denn Voraussetzung für ernsthaften
Diskussionen ist die Bereitschaft zu Kompromissen. Das ist von
Leuten, die ganze Bevölkerungsgruppen als Feindbild etablieren
wollen, nicht zu vermuten.
Dennoch darf man natürlich dieser sog.
„Neuen Rechten“ das Podium nicht überlassen. Es geht dabei eben
nicht darum einen jener Ideologen überzeugen zu wollen, sondern
darum, sie zu entzaubern und den interessierten Zuhörern (der
Zielgruppe der „Neuen Rechten“) die wahren Absichten zu
offenbaren. Dies ist mein Beitrag dazu.
Wilfried
John
Verwendete
Materialien und weitere Informationsquellen:
*1
Bundeszentrale für politische Bildung
*2
Wikpedia
*3
Verfassungsschutz
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen